Seitdem ich in Deutschland bin, fällt mir unangenehm auf, dass von allen Dingen, die die Deutschen gern kritisieren, hat Israel eine besondere Stellung.
Eins der ersten politischen Themen, mit denen ich als Neuankömmling konfrontiert wurde, war die Frage, wie ich zu Israel stehe.
Ich durfte nicht sagen, „Ist mir doch egal, ich war nie da, ich beschäftige mich nicht damit, was dort passiert hat keinen Einfluss auf mein Leben, und übrigens ich studiere deutsche Kultur, nicht Israel, was hältst du von der These, dass das Nibelungenlied ein feministisches Werk ist?“, sondern, es wurde klar und aggressiv erwartet, dass ich eine Meinung zu Israel habe, und es war ebenso klar, dass die richtige Meinung „kritisch“ (das heißt: negativ) sei.
Seitdem habe ich mir nicht nur eine Meinung zu Israel gebildet, sondern auch zu der deutschen Obsession mit Israel.
Erstere fällt eher positiv aus, letztere eher negativ. (Im übrigen gilt alles, was ich hier schreibe, nicht nur für Deutschland, sondern auch für bestimmte pseudo-linke Bewegungen in Amerika und anderen Teilen der westlichen Welt).
Auf einer rein abstrakten Ebene ist es natürlich legitim, einen Staat oder eine Regierung zu kritisieren, und Gott weiß, viele Deutsche versteckten sich gern in der abstrakten Ebene. Mein Problem ist die ganz reale Verhältnismäßigkeit:
Israel ist das einzige demokratische Land umgeben von neo-feudalen und theokratischen, menschenverachtenden Diktaturen – auch sie verdienen Kritik, und wie, doch die Kritik an diesen Ländern ist so gut wie null. Im Gegenteil, ich höre sogar regelmäßig Verständnis für Diktaturen wie Iran („Sie machen echten Fortschritt – und sie haben eine tolle kleine Filmkultur!“). Ich habe noch nie eine Anti-Saudi, anti-Iran oder sonst anti-arabische Demo gesehen, noch nie habe ich eine Katari-Fahne brennen sehen.
Teilweise hat das wirtschaftliche Gründe. Die deutsche Wirtschaft profitiert deutlich mehr von arabischen Diktaturen als von Israel.
Wenn ich das richtig rechne, hat Deutschland 2016 in die fünf wichtigsten Länder der arabischen Welt (Ägypten, Iran, Katar, Kuwait und Saudi Arabien) Exporte in Höhe von 35,7 Milliarden Euro verkauft, aber nach Israel nur 4,4 Milliarden – was nicht wenig für so ein kleines Land, aber insgesamt sind die anti-semitischen Länder wirtschaftlich deutlich wichtiger für Deutschland als Israel.
Ein gewisser Teil der übermäßigen Israelkritik hat also einfach mit guter alter deutschen Geldmacherei zu tun: Man rechtfertigt damit die lukrativen Geschäfte mit den Diktaturen, die Israels Feinde sind.
Aber wir müssen nicht nur in die arabische Welt schauen: Auch an solche menschenverachtenden Regimes wie China, Kambodscha, Sudan, Eritrea, Zimbabwe und viele, viele andere gibt es nur sehr gemäßigte Kritik. (Wie viele von euch könnten mir auf anhieb und ohne in Wikipedia nachzuschauen erklären, was „Rohingya“ sind?)
Das ist übrigens auch richtig so: mit diesen Ländern hat Deutschland außer wirtschaftlichen Beziehungen wenig zu tun. Ein bisschen Kritik ist angebracht, aber wenn alle Zeitungen jeden zweiten Tag voller Nachrichten aus und Kommentaren über Eritrea wären und die Eritrea-Fahne würde auf der Straße verbrannt werden, würde man sagen: Die Deutschen haben ein Problem mit Eritrea, die tiefer geht als nur berechtigte Kritik.
Es gibt auch genug Länder, mit denen Deutschland viel mehr zu tun hat und viel enger verbunden ist als Israel – die aber kaum kritisiert werden.
Deutschland ist ja faktisch Führer der EU – wenn Merkel sagt, Griechenland muss sparen, dann spart Griechenland. Das Schicksal der EU-Länder hängt also intim mit der deutschen Politik zusammen. Und die EU ist voller kritikwürdiger Staaten: In Polen herrscht ein beängstigender Rechtspopulismus, und Orbans Ungarn ist schon jetzt fast ein Diktatur.
Doch nie habe ich eine anti-polnische oder anti-ungarische Demonstration gesehen, mindestens nicht prominent in den Nachrichten, und eine ungarische Fahne habe ich nie brennen sehen. Von Russland ganz zu schweigen.
Die unaufhörliche deutsche Israel-Kritik ist viel mehr als nur „berechtigte Kritik“ – es ist eine Obsession, sogar eine krankhafte Obsession, und deren Grundlage ist eine Kombination aus unterschwelligem Antisemitismus und Ressentiments gegen die Scham und die Schande des Holocausts.
Und die ewige Diskussion von wegen „berechtigte Israel-Kritik ist doch kein Antisemitismus“ ist nur eine fadenscheinige und geheuchelte (Selbst-)Täuschung.
À propos Rechtsstaat: Bei aller Empörung – das Verbrennen ausländischer Fahnen ist nicht grundsätzlich verboten. Mal einen Blick ins StGB werfen, §104 https://t.co/YGynnd1Imf
— Jakob Augstein (@Augstein) December 11, 2017
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts) oder Die ängstliche Supermacht: Warum Deutschland endlich erwachsen werden muss
und Neuntöter: Thriller
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Antisemitismus: Steigende Angst unter Juden / Panorama
Jeder der sich gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus stellt, wird angegriffen und bedroht: Der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler zur Gewalt, Rassismus, Hass und Hetze durch die AfD.
Ein Vortrag von Alex Feuerherdt an der Universität in Freiburg. Alex Feuerherdt ist freier Publizist und lebt in Köln.
Er schreibt regelmäßig für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften zu den Themen Antisemitismus und Nahost, unter anderem für die Jüdische Allgemeine, konkret, den Tagesspiegel und die Jungle World. Zudem ist er Betreiber des Blogs “Lizas Welt”.
Auserwählt und Ausgegrenzt
Antisemitismus-Doku: Zensurvorwurf an Sender | ZAPP | NDR
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