Viele Tierheime in Deutschland haben große finanziellen Probleme oder stehen vor dem aus. Die Spenden gehen zurück, zu geringe finanzielle Unterstützung von den Kommunen.
Auch das Konrad-Adenauer-Tierheim in Köln Zollstock hat große finanzielle Probleme.
Wir führten mit Dr. Ralf Unna, Tierarzt und Vizepräsident des Landestierschutzverbands in NRW, dem 80 Tierheime angehören, ein Interview.
Hounds & People: Guten Tag, Herr Dr. Unna!
Dr. Ralf Unna: Guten Tag, Frau Ebenhoch!
Hounds & People: Sie sind Tierarzt, betreuen seit Jahren das Tierheim in Köln und setzen sich im Kölner Stadtrat für Tierschutz ein.
Warum gehören Sie zu den wenigen die sich in Deutschland hierfür engagieren?
Dr. Ralf Unna: Ich bin sicher, dass es sehr viele Menschen in Deutschland gibt, die sich für den Tierschutz engagieren. Allerdings geschieht dies meist in den Tierheimen des Deutschen Tierschutzbundes vor Ort: Ehrenämtler helfen reinigen, gehen mit Hunden Gassi, sammeln Spenden und verteilen die Tierheimzeitung. Diese Arbeit ist extrem wichtig. Ohne sie ginge nichts bei uns!
Darüber vergessen Tierschützer aber oft, politisch zu denken, um die Rahmenbedingungen zu verändern. Mir ist es schlicht schleierhaft, wie ein engagierter Tierschützer nicht zur Wahl gehen oder unüberlegt eine der Parteien wählen kann, die für millionenfaches (Nutz-) Tierleid verantwortlich sind im Namen von Arbeitsplätzen und Profit!
Hounds & People: Also sich dafür einzusetzen, dass Gesetze für eine artgemäße Haltung erlassen werden. Haben wir aber nicht bereits das Tierschutzgesetz wie § 2 der jeden Tierhalter verpflichtet seinem Tier freien Auslauf zu ermöglichen und dieses artgemäß zu halten?
Dr. Ralf Unna: Die Realität wird immer von dem bestimmt, was in den Köpfen der Menschen ist. Das ändert sich nur sehr langsam und auch nur mit Hilfe von Gerichten. Leider sind nicht alle Richter dem Tierschutzgedanken gewogen. Daher brauchen wir gute Juristen und – einmal mehr – einen langen Atem, um die Rechte der Tiere durchzusetzen.
Hounds & People: Verstoßen dann nicht die von Politikern erlassenen Hundegesetze gegen das Tierschutzgesetz und sind rechtswidrig?
Dr. Ralf Unna: Daran haben sich schon sehr gute Juristen die Zähne ausgebissen – als Tierarzt bin ich in einer juristischen Frage mit meinen Ansichten leider nicht relevant.
Hounds & People: Heute berichtete mir ein sehr netter älterer Tierarzt, dass sein Hund vor einigen Monaten gestorben ist. Als ich ihn fragte, wann er wieder einen Hund haben wird, meinte er – nie mehr! Er könne es nicht verantworten und ertragen wie tierschutzrelevant Hunde in Deutschland inzwischen Leben müssen. Dies sei eine Willkür der Politiker und Behörden.
Es würden Hunde aus dem Tierschutz vermittelt, die Haltung der Tiere, also der freie Auslauf sei aber unwichtig. Er berichtete, dass bereits Welpenbesitzer von den Trainern in den Hundeschulen angehalten werden, ihre kleinen Hunde ausschließlich an der Leine zu führen haben und den Kontakt zu anderen Hunde zu meiden. Den meisten Trainern in den Hundeschulen ginge es nicht um das Wohlergehen, die Sozialisation und eine artgemässe Haltung, die das Tierschutzgesetz eigentlich vorschreibt, sondern darum, dass die Hunde funktionieren und um Geld. Außerdem hätte er keine Lust mehr angepöbelt und angezeigt zu werden, auch von anderen Hundebesitzern, weil sein Hund ohne Leine laufen darf. Der Kleintierarzt lebt übrigens in einer Kleinstadt im Schwäbischen Württemberg. Er meinte es würden sich deshalb immer mehr Menschen, gegen einen Hund entscheiden.
Mich erinnerte dieses Gespräch an die Massentierhaltung. Das Tier steht im Stall, darf sich nicht bewegen und wird gefüttert, um einen Nutzen und Profit zu bringen. Wie es dem Tier dabei geht interessiert niemanden. Vor allem nicht, dass jedes Tier freien artgemässen Auslauf und Kontakt zu Artgenossen benötigt.
Beginnt die Entwicklung von Einfühlungsvermögen und das Verständnis gegenüber Tieren, nicht bei unseren Haustieren, wie unseren Hunden? Woher soll das Bewusstsein für Tierleid in der Massentierhaltung kommen, wenn wir mit unseren Hunden ebenso umgehen?
Dr. Ralf Unna: Die meisten Kinder in Städten haben praktische keine eigenen Erfahrungen mehr mit Tieren. Das führt zu vollkommen falschen Vorstellungen. Es war einer von mehreren Gründen, warum das Tierheim Köln-Zollstock schon vor zehn Jahren auch Nutztiere bewußt aufgenommen hat, wenn sie als ausgediente Geschenke unverschuldet in Not gerieten: das Schwein aus der Badewanne, die “Kampfhähne” aus der illegalen Szene, die Ziegen aus dem kleinen Zirkus usw. Hier können unsere Kindergarten- und Schulkinder, die wöchentlich zu uns kommen, aus der Nähe erfahren, was die Bedürfnisse dieser Tiere sind. Auch Krankheit und Tod erfahren Kinder über Haustiere wesentlich schonender als über nahe Angehörige.
Hounds & People: Ist es schwierig Ziele für den Tierschutz zu realisieren, nachdem die meisten Politiker sich unter Lobbyismus ja etwas “anderes” vorstellen und versprechen?
Dr. Ralf Unna: Leider ja – wir bohren ganz dicke Bretter. Aber wir bohren immer weiter, seit Jahrzehnten. (und lacht)
Hounds & People: Könnte Ihr Kollege aus Württemberg seinen Hund bei Ihnen in Köln laufen lassen ohne angepöbelt, angezeigt zu werden oder dass der Hund von einem Jäger abgeschossen wird?
Dr. Ralf Unna: Klar, aber das liegt an Köln: hier empfinden die Menschen Verbote in der Regel als sachte Hinweise. Hier haben sogar schon Kardinäle zum Diebstahl aufgerufen, wenn es die Zeiten notwendig erscheinen ließen. Da ist meine Heimatstadt sehr wenig deutsch…
Hounds & People: Wäre es einfacher Ihre Ziele zu erreichen, wenn Sie als sogenannter “Lobbyist” wirtschaftliche Interessen vertreten und Politiker wie üblich hiervon profitieren würden?
Dr. Ralf Unna: Bei den der Wirtschaft oder den Gewerkschaft zugeneigten Parteien sicherlich. Ethischer Tierschutz ist Selbstzweck – und daher per definitionem frei von wirtschaftlichem Nutzen.
Hounds & People: Das Tierheim in Köln und viele andere kleinen Tierheime haben inzwischen große finanzielle Probleme oder stehen vor dem aus.
Warum ist dies so?
Dr. Ralf Unna: Sie sind von den Kommunen absichtlich strukturell unterfinanziert. Am Beispiel Köln-Zollstock ein paar Zahlen: 25 Mitarbeiter inklusive 5 Azubis (NRW-Beste in 2014), Gesamtkosten ca. 800.000 Euro pro Jahr, Durchlauf ca. 1.200 – 1.400 Tiere pro Jahr, davon konstant zwei Drittel Fundtiere und Sicherstellungen (also öffentliche Pflichtaufgabe der Stadt Köln), Kostenerstattung durch die öffentliche Hand ca. 100.000 Euro. Da braucht man keinen Taschenrechner um festzustellen, dass sich die Stadt auf Kosten des Kölner Tierschutzvereins bereichert!
Hounds & People: Wieso bereichert? Ist die Stadt Köln, wie auch alle anderen Städte und Gemeinden, nicht dazu verpflichtet die Kosten für die Fundtiere, wie Unterbringung und Betreuung zu bezahlen? Wo sind die restlichen 700.000 Euro? Und warum werden die Kosten hierfür nicht übernommen?
Dr. Ralf Unna: Weil die Stadt mit den Altvorständen einen entsprechenden Vertrag ausgehandelt hat. Mehr war damals nicht zu holen. Ob wir es heute besser hin bekommen müssen wir erst einmal beweisen. Dieses Jahr zum Beispiel!
Hounds & People: Viele andere kleine Tierheime in Deutschland haben ebenfalls große Probleme oder stehen vor dem aus. Zudem gehen die Spenden zurück. Ist eine der Ursachen hierfür, dass die Menschen inzwischen lieber einen Hund aus dem Ausland über das Internet bestellen, anstatt in das nächste Tierheim zu gehen?
Dr. Ralf Unna: Klar: Immer wenn die Worte “Internet, Tötungsstation und retten” in einem Satz zusammen fallen setzt bei den Leuten das Gehirn aus, teilweise mit fatalen Folgen.
Nicht nur das die Spenden an teilweise zwielichtige und nicht gemeinnützige Organisationen abfließen, die angeblich im Ausland Tieren helfen (haben wir eigentlich in Deutschland keine Tierschutzprobleme mehr?). Gleichzeitig zahlen die meist weiblichen Käufer vollkommen überteuerte Preise für diese Tiere, alles in dem Glauben den Tieren zu helfen. Dabei handelt es sich praktisch immer um illegale Tiertransporte ohne Genehmigung, ohne gültige Impfung (die Pässe sind in der Regel gefälscht) und ohne valide durchgeführte Tests auf Reisekrankheiten wie Ehrlichiose, Babesiose oder Leishmaniose.
Mir ist nach 22 Berufsjahren kein Fall bekannt, in dem die neuen Eigentümer dieser für den deutschen Markt qualvoll produzierten Tiere darüber aufgeklärt wurde, dass frühestens drei Monate nach Ankunft in Deutschland all diese Tiere nachgetestet werden müssen – erst dann sind sie als gesund anzusehen. Dafür landen diese Hunde vermehrt in unseren Tierheimen, wenn sich z. B. herausstellt, dass sie unheilbar chronisch an Leishmaniose erkrankt sind. In diesen Fällen sind die importierenden Tierhändler, die sich Tierschützer nennen, nicht mehr zu erreichen. Die mehreren hundert Euro Gewinn pro Tier werden meist an den deutschen Steuerbehörden vorbei verdient…
Hounds & People: Die meisten Hunde befinden sich zwischen 6 Monate und 1 Jahr im Tierheim, bis sie ein neues Zuhause finden. Warum können die Tiere nicht schneller vermittelt werden? Wäre dies nicht auch viel besser für die Tiere?
Dr. Ralf Unna: Natürlich wär es besser. Zunächst müssen wir sie aber tierärztlich untersuchen, die Quarantänezeit abwarten, entflohen, entwurmen, impfen, nachimpfen, chippen und kastrieren. Anschließend suchen wir sehr sorgfältig ein neues Zuhause für sie. Leider sind auch viele alte oder kranke Tiere (s. o.) dabei. Ein junger, gesunder und kleiner Hund ist sicher viel schneller vermittelt!
Hounds & People: Wie viele und welche Fundtiere nimmt das Tierheim auf und aus welchen Gründen werden die Tiere im Tierheim in Köln abgegeben?
Dr. Ralf Unna: Wir nehmen bis zu 500 Hunde, 500 Katzen und 500 sonstige Tiere pro Jahr bei uns auf. Abgabegründe sind tatsächliche oder vorgeschobene Allergie, Trennung der Halter, Krankheit der Tiere oder Halter, Tod der Halter (Erbe ja, Tier nein…), Demenz oder Gefängnisaufenthalt usw.
Hounds & People: Wenn die Tierheime schließen müssen, wo sollen dann die ganzen Tiere hin? Sind dann nicht Verhältnisse wie in den Ostblockländern oder in Südeuropa zu befürchten, wo die Tiere einfach ausgesetzt werden?
Dr. Ralf Unna: Die Fundtierunterbringung ist eine PFLICHTAUFGABE jeder deutschen Kommune. Wenn das Tierheim geschlossen wird sollten die Tiere zum Büro der Oberbürgermeisters/Landrates gebracht werden. Er ist als Hauptverwaltungsbeamter dazu verpflichtet für die artgerechte Unterbringung zu sorgen!
Hounds & People: Das drittreichste Land, Deutschland, hat kein Geld für Tierheime, weil die Kommunen offenbar an Tierschutz und Tieren kein Interesse haben? Ist dies nicht eine gesellschaftliiche Bankrotterklärung? Spiegelt dies nicht die Gesellschaft und das tatsächliche Interesse dieser am Wohlergehen der Tiere wieder?
Dr. Ralf Unna: Es spiegelt die real existierenden Machtverhältnisse in den Kommunen und Landkreisen. Der Städte- und Gemeindetag tritt dabei als Mafia-ähnliche Organisation auf, deren Mitglieder sich planmäßig an den privaten Spendengeldern der Tierschutzvereine bereichert: Niemand in Deutschland spendet auch nur einen Euro, um die PFLICHTAUFGABE Fundtierunterbringung der Kommunen zu finanzieren.
Die Gelder, die wir mühsam einwerben, sollen dem ideellen Tierschutz zu Gute kommen. Gleichzeitig müssen wir sie aber einsetzen, um die von den Kommunen zu verantwortenden Fundtiere unterzubringen. Der Städte- und Gemeindetag als politsche Vertretung der Kommunen weigert sich seit Jahrzehnten mit unserer politischen Vertretung, dem Deutschen Tierschutzbund, einen allgemeingültigen Rahmenvertrag abzuschließen.
Aus gutem Grund: sie wollen sich auch weiterhin auf Kosten der Tierschutzvereine bereichern, in dem sie die von ihnen bestellte Dienstleistung “Tierheim” nicht kostendeckend bezahlen!
Hounds & People: Danke, Herr Dr. Unna für das Interview!
Das Interview führte Astrid Ebenhoch, Journalistin und Gründerin von Hounds & People
Überblick über das Tierheim in Köln-Zollstock
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