Ich versuche seit Tagen, meine Gedanken zu sortieren und etwas zur Situation in unserem Land zu schreiben. Nicht mal unbedingt zur politischen, sondern zur menschlichen.
Ich bin ja selten um Worte verlegen, aber hier bin ich es, weil “Nazi go home” halt nicht ausreicht. Ich bin es auch, weil sich irgendetwas in meinem Hirn weigert, zu glauben, was in unserem Land (und in vielen Teilen der Welt) passiert – während ein anderer Teil laut und verzweifelt ruft “wehret den Anfängen”, weil wir alle wissen (sollten), wohin salonfähiges braunes Gedankengut, offen zur Schau gestellte Menschenverachtung, Populismus, Demagogie, Intoleranz und die Abwertung Andersdenkender und -handelnder führen können.
Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass es in unserem Land wieder so weit kommt. Vielleicht bin ich auch einfach zu naiv?!
Und jetzt sitze ich hier, versuche meinem Entsetzen Ausdruck zu verleihen, und finde keine Worte.
Ich bin selber halbe Ausländerin (“nur” Belgierin), und ich bin absolut weltoffen und tolerant erzogen worden. “Die Welt zu Gast bei Strodtbecks” war das Motto meiner Jugend, wir hatten stets eine offene Türe für Menschen aus aller Welt, und für meine Eltern war es auch in den Neunzigern, als die braune Suppe zu brodeln begann, selbstverständlich, zu helfen, wenn Hilfe benötigt wurde. Und zwar unabhängig von Nationalität und Herkunft!
Schon damals haben bei uns Asylbewerber, die sich in ihrer Unterkunft nicht mehr sicher fühlten, bei uns Unterschlupf bekommen – damit bin ich aufgewachsen, es war selbstverständlich, und ich war immer stolz auf die klare Haltung meiner Eltern (sogar in der Pubertät, als ich sonst alles, was von Eltern kam, doof fand…). Und ich bin ihnen bis heute dankbar, dass sie mich in diesem Multikulti-Geiste haben aufwachsen lassen und mir Toleranz und Menschlichkeit mit auf den Weg gegeben haben.
Und jetzt schaue ich mich um – auf FB, wie in der realen Welt – und finde mich in einem absolut feindseligen und menschenverachtenden Klima wieder.
Und das ist es, was unser Land kaputt macht: Feindseligkeit, Intoleranz, Sozialneid, die eigene Aufwertung durch die Abwertung anderer.
Alles, worauf man in diesem Land stolz sein könnte, nämlich unsere Werte, unsere Menschenrechte, unsere Meinungsfreiheit und unsere Demokratie, wird zerstört. Und das nicht von Geflüchteten, sondern hier von uns, in unseren eigenen Reihen. Gerade diejenigen, die so unglaublich stolz auf unser Land sind, treten alles, was es ausmacht mit Füßen. Das ist widerlich und abstoßend!
Dazu kommt für mich eine unglaubliche Diskrepanz zwischen der Hundewelt, in der ich ja viel unterwegs bin, und der Menschenwelt.
Oft sind es nämlich gerade diejenigen, die alle Hunde retten wollen (egal, ob diese gerettet werden wollen, oder nicht), und die laut skandieren, dass der Tierschutz keine Landesgrenzen kennt, die gefährlichen Hunden zugute halten, dass diese eine “schwierige Kindheit” hatten, und die überzeugt sind, dass kein Hund böse geboren wird, die ausgerechnet bei der eigenen Art ganz klare Grenzen bzw Mauern ziehen. Wie kann das sein? Hört der Menschenschutz an Grenzen auf? Woher kommt diese Diskrepanz? Ist tatsächlich das Leben eines Hundes mehr wert als das eines Kindes?
Wir sind mitverantwortlich dafür, dass täglich Menschen im Mittelmeer sterben, wir sind Mitschuld an den Ursachen der Flucht – und wir weisen in diesem Fall jegliche Verantwortung von uns, klagen Menschen, die helfen an, und plädieren stattdessen für “Transitzonen”?
Gäbe es Transitzonen für Hunde, oder würde man ertrinkende Hunde im Mittelmeer billigend in Kauf nehmen, wäre der Aufschrei in meiner FB-Freundesliste groß – da es nur Menschen sind, verhallt er. Das befremdet mich sehr, weil ein solches Denken und Fühlen für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist!
All das macht mir Angst, weil ich mich in einem solchen Land nicht wohl fühle, und nicht leben möchte. Aber ich fürchte, das einzige, was bleibt, ist eine ganz klare Haltung, das Festhalten an der Menschlichkeit und sich ab und zu daran zu erinnern, dass wir alle jederzeit in eine Situation kommen können, in der wir Hilfe benötigen.
Leute, bewahrt Haltung gegenüber diesem braunen Dreck, steht für Eure Werte und die Werte dieses Landes ein und räumt dem rechten und menschenverachtenden Pack weder in der Politik noch auf der Strasse das Feld!
Vielleicht erreichen meine (unausgegorenen) Worte ja den ein oder anderen…
Sophie Strodtbeck ist Tierärztin, Buchautorin, berät mit Verhaltensbiologen Menschen mit Hund zu allen Fragen zur Verhaltensbiologie, Medizin, hält Vorträge und berichtet auf ihrer Website.
The great Dictator
Siehe auch:
- Teure Lachnummer
- Der Aufstand der Tiere
- Organisierter Natonalismus und Rechtspopulismus
- “Erklärung 2018″: Pseudo-Intellektuelle und Rechtspopulisten vereinigt Euch
- Rechtextremismus und Faschismus wurde nicht durch die Wahl legalisiert
- Der Freistaat Bayern gefährdete das Leben eines Ungeborenen
- #NoPAG: Bürgeraufstand für die Freiheit
- Tschüss, CSU!
- Hans Söllner zum bayerischen Polizeigesetz, Freiheit und Demokratie
- Bayrisch ist das neue Braun: Weg mit der CSU!
- Heil Heimat
- Die wirkliche Gefahr für dieses Land ist die CSU
- Landtagswahl 2016: “Springtime für Hitler und Germany”
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