Dieser Beitrag resultiert aus der Präsenz der derzeitigen Millan Geschichte und beruht hauptsächlich auf eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Dennoch soll er dazu dienen über die gesamte Hundehaltung kritisch nachzudenken.
Kaum ist durch Cesar Millan, die Diskussion über „Hundeerziehung“ wieder in aller Munde, werden von allen Seiten auch Allheilmittel angeboten, ohne wirklich auf den Hund als Individuum einzugehen.
Eine Zauberformel heißt, „positive Bestärkung“. Doch was man daraus gemacht hat, schießt weit über das eigentliche Ziel dessen hinaus, was im eigentlichen Sinn damit gemeint war. Auf einmal schossen sogenannte gewaltfrei arbeitende Hundetrainer wie Pilze aus dem Boden.
Zauberworte wie Clicker und Futterbeutel wurden als ultimative Methode der Hundeerziehung, allgegenwärtig. Verstanden hat diese neuen Methoden scheinbar niemand, weder die selbst ernannten Trainer noch die breite Masse der Hundehalter. Einzig begegnete man von Tag zu Tag mehr Menschen mit ihren Hunden, die mit überdimensionalen Bauchbeuteln, gefüllt mit Kaustangen, Fleischwurst, Käsewürfeln und sonstigen vermeintlichen Schmankerln für den Hund, unterwegs waren.
Das Ergebnis war, das die Hunde solange sie alle paar Meter solch ein Schmankerl in den Fang gestopft bekamen, sich keinen Meter weit von ihren Haltern entfernten, doch sobald der Bauchbeutel leer war, ihrer eigenen Wege zu gehen versuchten. Eine echte Bindung auf emotionaler Ebene wurde und wird dabei allerdings nicht hergestellt, sondern man reduzierte und reduziert seinen Hund einzig auf das Bedürfnis immer und überall Nahrung aufnehmen zu wollen.
Hunde können lernen, Hunde wollen lernen, doch wollen Hunde konditioniert werden?
Zunächst sollte man sich doch einmal die Frage stellen, was man von einem Hund erwartet. Reicht es nicht aus, ein Familienmitglied, einen Freund und Begleiter zu haben? Haben wir uns, in einer Zeit, in der es fast überall darum geht, „höher, weiter, schneller“, vielleicht in eine Richtung entwickelt, die es uns schier unmöglich macht, einen Hund als das zu sehen, was er ist und sein will? Ist es denn notwendig, die pawlowsche Glocke mit einem Knackfrosch zu ersetzen, nur um unserem Nachbarn zu zeigen, welche Kunststücke unser Hund vorführen kann?
Weshalb werden wir immer wieder dazu aufgerufen, die Körpersprache, sogenannte “Calming Signals” unserer Hunde zu deuten und zu erlernen, sprechen aber unserem Hund ab, aus eigenem Antrieb die unseren zu erkennen?
Wir werden ständig dazu angehalten, unserem Hund eine gewisse Rückzugsmöglichkeit zu gewährleisten, aber sind nicht in der Lage zu erkennen, dass auch unsere Hunde ohne unser zutun, uns genau diesen Freiraum lassen, wenn wir nur zuließen, unserem Hund zuzutrauen, dass er unsere Stimmungsschwankungen, zeitweise sogar besser beurteilen kann als wir selbst. Wann werden wir lernen, dass in Sachen Instinkt und Empathie unser Hund, uns weit überlegen ist, da er von Natur aus, keinen oberflächlichen, gesellschaftlichen Zwängen unterliegt.
Schaut man sich einmal an, aus welchen Beweggründen so mancher Hund angeschafft wird, findet man auch schon die ersten Antworten, was in der immer wieder auftauchenden Phrase „Mensch – Hund – Beziehung“ zu den stetig zunehmenden Problemen führt.
Nimmt man beispielsweise Menschen, die sich für „Hundesport“ entscheiden, so stellt sich doch die Frage, wer will denn Sport machen?
Doch wohl eher der Mensch, der sich unter gleichgesinnten Menschen bewegen will und dabei auch stolz vorführen, was er seinem Hund „eingetrichtert“ hat, sei es unter Zwang oder mit „positiver (Futter) Bestärkung“. Wenn man dann noch zu hören bekommt, dass der Hund eben dies gerade braucht, denn er muss ja ausgelastet werden, fragt man sich was all die Hunde für Qualen ausstehen müssen, die einfach nur Familienmitglied, Freund, Begleiter sind und nicht irgendwelche unsinnigen Übungen, meist vor Publikum, vorführen müssen?
Als großes Problem unserer Gesellschaft, im Sinne von Hundehaltung, ist es mittlerweile geworden, dass ganz viele Menschen, die sich früher nie einen Hund angeschafft hätten, sich gesellschaftlich verpflichtet fühlen, eben auch einen Hund halten zu müssen. Ebenso wie es früher der Fall war, mindestens ein ebenso schickes Auto zu haben, wie der Nachbar, muss es heute ein Hund sein. Was vor allen Dingen hier zu beobachten ist, ist, dass der Hund irgendeine Besonderheit vorweist. Entweder es handelt sich um einen Rassehund oder er hat eine Geschichte zu erzählen, die was hermacht, sei es eine besonders „schlechte Kindheit“ oder man hat ihn vor dem Tod gerettet, indem man ihn aus einem endlosen Katalog im Internet nach seiner besonderen Geschichte ausgesucht hat. Ob diese Geschichte reine Werbung war oder nicht, spielt zunächst keine Rolle.
An der Stelle, an der jemand der einen reinen Begleiter und Freund zu sich nimmt, innerhalb kürzester Zeit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut ist, weil sich Hund und Halter gegenseitig ausgesucht haben, wird bei den Statussymbolhunden sofort damit angefangen, das im favorisierten Buch erlesene umzusetzen oder der Empfehlung der Vermittler, eine Hundeschule aufzusuchen, nachgegangen.
Die Erfolge sind meist von Frust und Unmut geprägt, da sich jeder als Fachmann fühlt und niemand wirklich auf den einzelnen Hund, das Individuum eingeht.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen, die allerdings meiner Erfahrung nach, eher dünn besiedelt sind. Ebenso gibt es auch gewisse Ausnahmen bei Hunden, die durch irgendwelche Einflüsse so sehr psychisch geschädigt sind, dass eine normale Familienhaltung, mit allem Drum und Dran, wie Stadtbesuche, häufiger Besuch von ihm fremden Menschen etc., nicht mehr machbar sind, sieht man davon ab, den Hund so zu brechen, dass er als einzige Schwanzstellung, das Anlegen des Schwanzes am Bauch kennt. Für solche Hunde hilft nur noch eine Umgebung, die möglichst frei von für ihn beängstigenden Reizen ist, alles andere bedeutet den psychischen Tod, dem der physische dann vorzuziehen wäre.
Über die neue Art des Hundeverstehens durch die an eine Sekte erinnernde Lehre der Rudelstellungen und dass einem jeden Hund sein Verhalten genetisch vorbestimmt ist, je nachdem welche Stellung er angeboren bekam, gehe ich hier nicht weiter ein, denn dieser Humbug wird an anderer Stelle behandelt.
Nur soviel zum Abschluss, was wir in über 20 Jahren bei Hunden unterschiedlichster Herkunft immer wieder feststellen konnten.
Innerhalb weniger Tage hat sich jeder Hund an unser Leben angepasst und verstanden was, wann von ihm erwartet oder verlangt wurde. Dies alles ohne Gewalt und ohne Belohnung über Futter. Hunde, die nur als Gast bei uns verweilten, wussten immer einen Unterschied zu machen, wo sie sich aufhielten. So haben die Hunde schnell den Unterschied verstanden, dass man bei uns z. B. auf dem Sofa liegen darf, auch wenn dies Zuhause nicht erwünscht war. Schnell wurde auch festgestellt, dass es immer mal wieder eine Leckerei gab, allerdings nicht als Belohnung für irgendwelches Verhalten, sondern rein um ihnen eine Freude zu machen.
So individuell, wie wir Menschen sind, haben wir auch Hunderte von Hunden kennengelernt.
Da gibt es die Sensiblen, die die einen bei jedem lauten Wort verständnislos anschauen, es gibt die Draufgänger, die auch mal einen „Anbrüller“ brauchen und viele andere Charaktere mehr, ebenso wie bei uns Menschen. Doch eines war und ist allen die wir bisher kennengelernt haben gleich gewesen, selbst denen die auch wir als „nicht gesellschaftsfähig“ eingeschätzt haben. Sie wollten alle nur Sicherheit, Verständnis und Geborgenheit von bekannten Bezugspersonen. Dabei war und ist es egal, ob man gemeinsam mit ihnen spielt, mit z. B. Stöckchen oder Bällen oder ob sie nur untereinander, miteinander interagieren.
Es ist hin und wieder bestimmt nötig sich Rat zu holen, doch sollte man nicht soweit gehen, egal ob mit physischer Gewalt oder mit Futterkonditionierung, Wesen zu schaffen, die einzig festgeschriebene Programme, gleich einem Computer oder Roboter ablaufen lassen.
Unten in den Videos ein paar Alternativen wie es auch anders gehen kann.
Michael Schlesinger ist Blogger, Journalist und überzeugter Tierschützer bei der Tierschutzinitiative Vorpommern e.V.
Foto: Hounds & People
Siehe auch:
- “Do as I do” – Hunde lernen durch Nachahmung
- Eldad Hagar: Das Kontrastprogramm zu Cesar Millan
- Neue Studie über Hunde! Und der Wissensstand der Trainer?
- Hunde können Denkaufgaben eigenständig und flexibel lösen
Das Video zeigt wie Hunde durch Nachahmung unseres Verhaltens lernen
Hier noch ein paar Beispiele, wie es auch gehen kann.
Zur Information, alle Hunde auf den Videos sind „Tierschutzhunde“, manche aus Deutschland, andere Osteuropa, wieder andere aus Südeuropa.
Ein Guter Bericht, der zeigt, dass Hunde mehr sind als “Programierbare Gefährten”. Danke!
Einer der besten Artikel die ich zu diesem Thema gelesen habe.
Zu Kereki: Wie üblich ist man feige und versteckt sich hinter einem Pseudonym, die sollten verboten werden.
Ich würde mal den Ball flach halten, bevor der Schuss für absolute Inkompetenz nicht nach hinten los geht. Dieser Kommentar zeigt auch, dass die Verfasserin noch nie etwas von Prof. Manfred Spitzer gehört oder gelesen hat. Eine Grundvoraussetzung wenn man behauptet von Lernen Ahnung zu haben.
Die Erforschung des Lernens durch Konditionierung beschränkt sich rigoros auf beobachtbares Verhalten und spekuliert nicht über Konstrukte, die dem Verhalten eventuell zugrunde liegen und eigene Lernerfahrungen unmöglich machen. Daher kann sie nicht erklären, wie Lernen durch intrinsische Motivation (z. B. Neugier) funktioniert, die die Voraussetzung für Selbsterlerntes und eigene Erfahrungen sind. Erst durch alternative Modelle – etwa Albert Banduras sozialkognitive Lerntheorie, welche insbesondere das Lernen am Modell erklärt – wurden auch diese Verhaltensmuster erklärbar.
Trotz differenzierter Konditionierungseffekte schaffen ebendiese nicht, z.B. stringent den Wirkmechanismus der Klingelmatte gegen Enuresis zu erklären.
Auch aus ethischer Sicht gibt es Kritik: Die erzieherischen Konsequenzen des Behaviorismus werden als problematisch angesehen, sofern sie in einer Weise eingesetzt werden, die an Dressur und Gehirnwäsche erinnert. Die operante und klassische Konditionierung sollte wenn überhaupt in einer ethisch vertretbaren Weise eingesetzt werden. Dazu ist erforderlich, dass dem Lernenden der Konditionierungsprozess ausführlich erklärt wird, und er sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann. Was bei Hunden ja bekanntlich nicht möglich ist.
Dazu gehört auch, dass der Lernende die Lernziele selbst bestimmt. Was die armen Hunde ebenfalls nicht können.
Meine Kritik bezog sich vor allem auf die Annahme, dass man ohne Futterbestechung keinen Draht mehr zum Hund hat, allerdings ist das nicht das Ziel der positiven Verstärkung. Hier werden Leistungen so belohnt, dss der Hund sie wiederholt zeigt, auch durch Futter. Allerdings möglichst ohne Luring.
Die klassische konditionierung ist im Alltag unumgänglich, sie läuft immer mit. Das ist gar nicht zu unterbinden, noch auszuschalten. Von niemanden, auch nicht von dir oder dem Verfasser dieses populistischen Schriebes. Alleine die Annahme, man könnte sich diesem völlig natürlichen und moral-neutralem Prozess entziehen, ist eine Fehleinschätzung. Man hat scheinbar zu viel 1984 gelesen…
Schon wieder wird Konditionierung mit Programmierung gleichgesetzt, dabei aber den meisten Hundehaltern die Ahnung abgesprochen, obwohl dem Verfasser dieses Schriebs wohl entgangen sein dürfte, dass konditionieren GLEICH lernen ist. Nicht ausschlißlich, aber konditionieren ist nichts Böses, sondern einfach ein Lernprozess, der immer stattfindet. Den kann man sich nicht aussuchen. Auch ohen Gewalt oder Futter wird ständig konditioniert und auch wir werden konditioniert. Solange diese Grundlage vom Verfasser nicht verstanden wird, kann er sich bitte nicht erdreisten, irgendwen erleuchten zu wollen.
Das Futter in den Bauchtaschen dient dabei auch nicht zum Bindungsaufbau (der kommt von alleine über Monate) – sondern darum AUFMERKSAMKEIT (=VERHALTEN!!) zu belohnen und später zu etablieren. Aber solange man sich Tierschützer auf die Fahne schreibt und sich ansonsten wenig mit der operanten Konditionierung befasst, hat man scheinbar das Recht, so einen Schrieb unter die Leute zu bringen. Nichts gegen das gute Bauchgefühl, aber bei so einer “Kolumne” zeigt sich nur wieder, dass ein bisschen Bildung das Bauchgefühl abrunden würde.
Alleine, dass die positive Bestärkung in diesem Artikelchen wieder auf die Futterbelhnung reuziert wird (mit Hinweis), ist lächerlich und nicht zufriedenstellend. Dann bitte “positive Bestärkung” als Begriff meiden und nur Futterbelohnung wählen. Danke.