Vor einigen Jahren hatte mein Vater ein Krebs-OP. Er kam nach Hause und die ersten paar Tage war er noch mit Drogen vollgepumpt und nicht ganz sich selbst. Wir Kinder hatten uns im Haus versammelt, um bei ihm zu sein.
Eines Nachts wachte ich mitten in der Nacht auf und das ganze Haus war hell. Die Frauen hatten alle Lichter angemacht und diskutierten laut und aufgeregt. Ich ging ins Schlafzimmer und fragte, was los war, meine Schwester sagte: “Dads Herz spielt verrückt, ich weiß nicht, was los ist, es schlägt viel zu schnell, wir müssen den Arzt anrufen.”
Dad war mitten in der nach taufgewachst, sein Herz spielte verrückt, als ob sein Körper gleich kollabiert, und alle schrieen jetzt durcheinander. Zwei Sachen fielen mir auf: 1. Dad selbst sah völlig normal aus. 2. Meine Schwester neigten schon immer zu Panik und Hysterie – ich hatte mit der Zeit gelernt, alles, was sie sagen, erst mal zu überprüfen.
Ich fragte, „Dad, wie weißt du, dass dein Herz viel zu schnell schlägt?“ Meine Schwester antworteten für ihn: „Er muss es doch wissen, es ist sein Körper!“
Offenbar hatte er seinen Puls nicht gemessen. Ich sprach direkt mit Dad: „Dad, du bist Ingenieur, du glaubst an Mathe und Kontrolle und Daten und Zahlen – hast du dein Puls denn tatsächlich kontrolliert?“
„Nein“ sagte er. Und während meine Schwester durch die Gegend schrieen und versuchten, das Krankenhaus zu überzeugen, ihnen die Privatnummer seines Arztes herauszugeben, legte mein Vater seine Finger an den Puls, zahlte eine Minute lang, stellte fest, dass sein Puls völlig normal war, und wir gingen alle wieder ins Bett.
Ich mag Merkel weil sie Wissenschaftlerin ist. Sie versteht Mathe, Zahlen, Daten, sie weiß, was es bedeutet, die Dinge zu überprüfen, vor allem die subjektive Sicht auf die Dinge zu überprüfen.
Die meisten Deutschen tun das nicht. Deutschland war vor langer Zeit „das Land der Dichter und Denker“ und berühmt für seine Wissenschaftler und für seine rationale Art, das Leben anzugehen. Heute ist all das vergessen und in Deutschland regiert die Hysterie, die Angst, das subjektive Empfinden und wilde Empörungssucht. Es gibt so gut wie gar kein intellektueller Dialog mehr. Man bewirft einander nur mit Dreck und zwar ausschließlich in alten rechts/links-Schablonen, oft mit der gleichen Wortlaut wie 1933:
„Wir werden durch Asylbewerber überfremdet! Wir werden durch die TTIP überfremdet! Werden wir jetzt alle nur noch Chlorhuhn essen müssen? Werden wir jetzt alle nur noch Döner essen müssen? Bestimmt jetzt Amerika unsere Gesetzgebung? Wird hier jetzt die Scharia eingeführt? Wie dumm kann nur ein Nazi sein! Solche Dummheit wie die Linken es sind gehört verboten!“
Ich lebe in Deutschland seit 30 Jahren. Ich habe gelernt, die Ängste und Panik der Deutschen nicht ernst zu nehmen. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass Deutsch-sein heißt: Sich mit Lust und Wonne seinen hysterischen Ängsten hinzugeben, als ob es sich um Sex mit einer jungen Prostituierten handelt. Heute kenne ich wirklich wenige in Deutschland, die rational und verantwortlich die Dinge durchdenken.
Merkel aber tut das offenbar.
Ich weiß natürlich nicht, wie sie im privaten denkt, aber ich bin sicher, sie schaut sich die Daten an, sie weißt, dass die TTIP die nationale Gesetzgebung nicht aushebt (das kann kein Tribunal, das kann nur das Verfassungsgericht, im Gegensatz zu den meisten Deutschen kennt sie den Unterschied); sie weiß, dass um die Vorteile eines großen Handelsabkommens mit 28 anderen Mitgliedern zu erreichen, muss man einige Kompromisse eingehen, auch Amerika wird Kompromisse eingehen müssen, und ich denke, sie weiß, welche Kompromisse sie nicht eingehen darf, damit der Bundestag das Gesetz abnimmt, wenn es erst einmal fertig ist und vorliegt.
Sie weiß, dass die paar Migranten, selbst wenn es mehrere Million über die nächsten paar Jahre sind, Deutschland – das fünfreichste Land der Welt – nicht überfordern wird. Das geht ganz einfach aus den Zahlen hervor: 80 Millionen reiche Deutschen sind in der Lage, ein paar Millionen Gäste aufzunehmen.
Ich denke, sie hat auch ein wenig Geschichte gesehen: Nach 1989 haben vor allem die deutschen Intellektuellen geschrien und geheult, dass Westdeutschland es nicht schafft, Ostdeutschland aufzunehmen – es war ein Fehler! Wir werden untergehen! Jetzt ist das peinliche Verhalten der Deutschen in den ersten 10 Jahren nach der Wiedervereinigung vergessen – aber ich denke, sie hat es nicht vergessen und sie weißt: Die Deutschen haben panische Angst vor jeder Herausforderung, man darf nicht auf das hysterische Volk hören, sondern nur auf die Daten.
Ich bin nicht immer mit ihrer Politik einverstanden – über ihre Tea-Party-Politik in Griechenland (die die meisten Deutschen nicht als Tea-Party-Politik erkennen können) bin ich skeptisch, aber ich bin überzeugt, dass sie es nicht tut, um die Griechen zu foltern, sondern, weil sie nach Überprüfung der tatsächlichen Lage überzeugt ist, dass es am Ende erfolgreich sein wird. Ich erwarte von einer Politikerin nicht alle Antworten und keine perfekte „richtige“ Politik – die gibt es nur in Hollywood-Filmen und in den deutschen Feuilletons – ich erwarte nur, dass sie einen besseren Job macht als die hysterischen, angstgetriebenen und verwirrten Massen auf der Straße, in den Stammkneipen, in den Feuilletons und auf Facebook.
Die Wissenschaft und die wissenschaftliche Methode – die Realität mit Daten, Zahlen und Fakten zu überprüfen – hat unsere Welt zu der besten Welt aller Zeiten gemacht. Wenn eine Politikerin sich nicht vom Geschrei eines in Panik verfallenen Volkes beeindrucken lässt, sondern die wissenschaftliche Methode der Überprüfung verwendet, flößt mir das Vertrauen ein.
Siehe auch:
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts) oder Die ängstliche Supermacht: Warum Deutschland endlich erwachsen werden muss
. Eric T. Hansen The Hula Ink Blog.
Naives dummes Zeug.- Ein Wissenschaftler.