Nach einer Diskussion muss ich wieder mal Bestandsaufnahme vornehmen – mich fragen, was für ein Mensch ich bin. Ich stelle fest: Ich bin ein enttäuschter Linker.
In Amerika sagt man, ein Republikaner ist ein Demokrat, der mal überfallen wurde. Ein enttäuschter linker ist ein Linker, der den Lauf der Geschichte gesehen hat und die Linken von heute für heuchelnde Idioten hält.
Schon lange vor 1989 war mir klar, dass Marxismus nicht funktioniert, weder politisch noch ökonomisch. Man brauchte nicht mal Wirtschaft studiert zu haben, um das festzustellen, man brauchte nur die kommunistische Welt anzusehen. Trotzdem haben nach dem Fall der Mauer viele deutschen Linken immer noch an ihren Nationalhelden Marx als Pseudo-Ökonom und politischer Prophet festgehalten.
Spätestens dann wurde mir klar, dass es ihnen nicht um Politik geht, sondern um Identität – sie wollten weiterhin die besseren Menschen sein, egal, was sie dabei anstellen.
Ich wurde in einer intellektuell sehr links-liberale Atmosphäre erzogen (an amerikanischen Universitäten), und habe gelernt, beide Seiten eines Streitthemas zu verstehen, Klischees und Vorurteile zu hinterfragen, Argumente zu prüfen, nicht alles zu glauben, was ich lese. Das war damals das links-liberale Ideal.
Heute ist das weitgehend vergessen – auf beiden Seiten. Ich höre wirklich nur Vorwürfe, Vorurteile und Schuldzuweisungen: Die Linken diskutieren die Themen nicht mehr, sondern stellen die Konservativen nur noch als böse, moralisch verwerfliche und dumme Menschen dar. Dabei hatten die Konservativen immer wieder – vielleicht sogar 50% oder beinahe 50% der Zeit – recht. Das sagt mehr über die Linken aus als über die Konservativen.
Wenn ich heute mit einem deutschen Linken rede (und es ist ähnlich mit amerikanischen Linken) höre ich vor allem wiedergekaute Sprüche aus der 68er-Zeit: Anti-Amerikanismen, Apologetiken für Russland, warum Kapitalismus bald zu Ende geht, Nazis böse, Bild böse, was die CDU alles falsch macht (obwohl Merkel die einzige ist heute, die linke Werte wie z.B. eine menschenfreundliche Migrationspolitik durchsetzt).
Was ich nicht höre ist eine Politik, in der es wirklich um die Themen geht, die uns heute beschäftigen. Weder eine reale Migrationspolitik (statt gut/böse-Verallgemeinerungen), noch eine verbindliche internationale Politik (die Lösung für ISIS/Syrien scheint der Spruch „Krieg ist böse!“ zu sein), noch ein realistisches Beschäftigen mit der Wirtschaft (ich höre „TTIP ist böse“ aber eine Lösung für das Stagnieren der EU höre ich nicht) oder mit der Verantwortung Deutschlands in der EU.
Stattdessen höre ich eine Art linke Nostalgie – die Linken identifizieren sich immer noch mit den Arbeiterkämpfen von vor 100 Jahren, die wirklich seit 100 Jahren vorbei sind.
Und übrigens – die Linken haben gewonnen. Die linke Idee ist längst durchgesetzt. Sie ist mehr als durchgesetzt. Das soziale Netz ist heute so komplett ausgebaut, dass es den Leuten besser geht als je zuvor. Höchstwahrscheinlich hat es sogar eine Grenze erreicht – mehr soziales Netz ist wahrscheinlich (diesen Punkt kann man durchaus diskutieren) für die Wirtschaft sogar gefährlich – das merkt man an Griechenland und anderen EU-Staaten.
Trotzdem glauben viele Linke, sie leben noch in der Zeit von Rosa Luxemburg und kämpfen ihren Kampf weiter. Sie tun nichts dergleichen – sie verbreiten bloß Blabla. Und weigern sich dabei, ihre veraltete, heute irrelevante Partei bzw. politische Richtung zu erneuern.
Ich sehe in den Linken (mit „Linken“ meine ich hier die allgemeine Richtung, die die SPD, die Grünen und die Linke einschließt), keinerlei Ideen, keine Hoffnung, keinen Realitätsbezug und auch keine Daseinsberechtigung mehr.
Ich sehe niemanden, der in der Lage ist, seine Theorien mit der Realität zu vergleichen (was ist wirklich aus unseren Sprüchen von den letzten 30 Jahren geworden? Haben sie etwas gebracht, waren sie irgendwann zutreffend, oder waren sie nur Sprüche? Und wenn ja, warum verbreiten wir sie weiter?) um dann auf die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Naja, was soll ein enttäuschter Linker tun? Zu den Konservativen kann ich nicht gehen – sie sind heute noch schlimmer als die Linken (mit einer erstaunlichen Ausnahme – Merkel).
Wir leben allgemein in einer Zeit der Orientierungslosigkeit, der Heuchelei und der Irrelevanz, gepaart mit aufgeregtem Aktivismus.
Ich kann es nur aushalten und hoffen, dass irgendwann eine Generation kommt, die die verlorene Kunst des eigenständigen Denkens wieder entdeckt.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts) oder Die ängstliche Supermacht: Warum Deutschland endlich erwachsen werden muss
. Eric T. Hansen The Hula Ink Blog.
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