Alle sind erschrocken über die Reaktion in vielen Städten auf die Asylbewerber – Asylheime werden angezündet, beschmiert, Helfer und Polizei werden angepöbelt und mit Steine beschmissen, im Internet wird gehetzt, Gutmenschen werden niedergeschrien und eingeschüchtert.
Die Reaktion ist stark. Ich habe im Netz keine vergleichbare Reaktion gefunden. Es gibt überall Neo-Nazigruppen und auch Gewalt gegen Ausländer und Migranten, schon immer, aber seitdem die Flüchtlingskrise in Europa angefangen hat, werden, soweit ich im Internet sehen kann, nur in Deutschland Flüchtlingsheime angezündet.
Man muss sagen, dass die Reaktion darauf stolz machen können: Die Gutmenschen kämpfen zurück, Leute wie Till Schweiger nehmen das nicht hin, für jede Neo-Nazi-Demo gibt es ein Gegendemo – es ist nicht so, dass die Deutschen lauter Rassisten sind, es ist, wie überall in der westlichen Welt, tatsächlich eine Minderheit. Deswegen rege ich mich auch nicht so sehr darüber auf wie viele meiner Freunde.
Etwas beschäftigt mich aber doch: Die Gewalt und Hetze wird in den Medien und im Netz als ausschließlich rechte/braune Hetze identifiziert. Das ist toll für den linken Bildungsbürger: Er kann sagen, schau her, diese ungebildete rechte Untermenschen, wie schön, dass ich nicht dazu gehöre.
Das Problem: Auch der linke Bildungsbürger gehört tatsächlich dazu, er sieht es bloß nicht. Gewalt und Zwang als politisches Mittel und Hetze gegen Ausländer und dem Ausland ist in jeder Schicht und in jeder politischen Richtung in Deutschland präsent und ist ein fester Teil der deutschen Mentalität. Indem wir auf die Rechten zeigen, machen wir uns was vor.
Wir verbinden Gewalt und Ausländerhass mit den Rechten, weil wir linke Gewalt nur mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Mehr: Wir verherrlichen und romantisieren sie. Filme über Nazis und Neo-Nazis stellen stark die Opfer im Vordergrund – die vielen Filme über die RAF stellen die Terroristen dar, wie sie sich vor den Scheissbullen verstecken und die coolen Methoden, die sie benutzen, um im Untergrund zu bleiben – bis die Zuschauer sich mit ihnen identifizieren und die Bullen als die wahren Bösewichte sehen. Die Opfer kriegen nur wenige Sekunden auf der Leinwand.
In Deutschland wird linke Gewalt sogar institutionalisiert – am 1. Mai ist es ganz einfach Tradition, die Bullen mit Steinen zu beschmeißen. Niemandem heute findet das irgendwie merkwürdig. Wenn Rechte es vor Asylheime tun, ist die Nation erschrocken.
In Wahrheit ist rechte und linke Gewalt zwei Seiten der gleichen Medaille und sie kommen aus der gleichen Quelle:
Seit dem 18. Jahrhundert, wahrscheinlich seit dem 30jährigen Krieg, sehen die Deutschen sich als Opfer anderer Nationen. Nicht nur das: Sie verbinden ihre Opfertum mit ihrer Nationalität: Deutsch-Sein heißt Opfersein.
Im 18. Jht. waren es die Franzosen, die Deutschland fremdbestimmen wollte, in der Nazi-Zeit waren es die Franzosen (sie nehmen uns unser Land und Geld), die Juden (sie nehmen unser Geld, unsere Kultur und unsere Seele und machen uns zu Kapitalisten) und die Amis (sie verderben unsere Kultur und machen uns zu Kapitalisten).
Die Angst vor dem Kapitalismus, obwohl Deutschland das kapitalistisch erfolgreichste Land der Welt ist, wird mit Angst vor der jüdischen Unterwanderung verbunden: Hitler benutze die gleiche Rhetorik gegen Juden und Kapitalismus, und auch heute wird die gleiche Rhetorik gegen Kapitalismus verwendet, die vor Jahren gegen Juden verwendet wurde. Seitdem ist Kapitalimus fur die meisten Deutschen auch eine Art Fremdbestimmung.
Die Angst, dass das Ausland die Deutschen in irgendeiner Form fremdbestimmen, unterwandern oder untergraben wollen, ist die eine einigende Idee Deutschlands. Es liegt sogar im Kern der deutschen Gründungsmythos Hermann der Cherusker: Damals waren es die Roemer, die die freie und aufrechte Germanen fremdbestimmen und unterwandert haben.
In der rechten Szene heute – die oft aus weniger gebildeten Schichten kommt – findet das Opfertum im Form von Angst vor Ausländern statt: „Sie wollen unsere (billigen) Jobs wegnehmen, sie konkurrieren beim Staat für unsere Sozialgelder.“
In den gebildeten oberen Schichten heute hat man zwar ein Herz für Ausländer (warum auch nicht, sie nehmen uns ja die Jobs oder die Sozialgelder nicht weg), dafür hat man Angst vor 1) Brüssel und 2) Amerika – also vor zwei weit entfernten Staatswesen, die „uns fremdbestimmen wollen“.
Brüssel mit ihrem Beamtentum will unsere deutschen Kultur wegnehmen, uns zu Kapitalismus zwingen, uns gleich stellen mit anderen Ländern, die versteht uns nicht und will uns kaputt machen. Amerika zwingt uns, irgendwelchen Scheiß zu konsumieren, es verdirbt unsere reine Kultur mit Hollywood und Amazon; mit TTIP zwingt es uns, Kapitalisten zu werden, mit dem NATO treibt es ein Keil zwischen uns und den einzigen Menschen, die uns wirklich lieben, die Russen; die NSA geht nicht um Sicherheit oder Staatsspionage zum Gunsten des deutschen Staates, sondern um die Überwachung der E-Mail-Verkehr des durchschnittlichen Bürgers, etc.
Ob vor hundert Jahren oder heute, ob im gehobenen linken Bürgertum oder im braunen Sumpf, das Muster bleibt gleich: Eine von uns nicht kontrollierbare Macht von Außen will uns fremdbestimmen, unterwandern und untergraben. Auch, wenn die sachliche Realität völlig anders aussieht, denkt der Deutsche immer in diesem Muster. Den Teil der deutschen Mentalität, der das Land immer wieder in die Selbstzerstörung getrieben hat, hat der Deutsche mit der Muttermilch aufgesogen und reflektiert ihn sein Lebenslang nicht mehr.
Verstehen Sie den Vergleich mit der Vergangenheit nicht falsch: Deutschland heute steht nicht in Gefahr, ins 4. Reich zu schlittern. Ein kritisch denkendes Volk sollte aber in der Lage sein, auch kritisch über sich selbst zu denken. Hier mein Beitrag:
Die Deutschen lassen sich immer noch von ihrer Angst vor Fremdbestimmung leiten, und heute, wo Deutschland wie nie zuvor frei, selbstbestimmt und mächtig ist, kann dieses Reflex nur vom Nachteil sein, ob in den unteren oder in den oberen Schichten.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts) oder Die ängstliche Supermacht: Warum Deutschland endlich erwachsen werden muss
. Eric T. Hansen The Hula Ink Blog.
Siehe auch:
Deutsche Betroffenheit wegen Hassmails gegen Flüchtlinge nur vorgetäuscht
Rechtspopulismus und Nationalismus in Deutschland und Europa
Von Volksverdummung und Mitläufern
Nationalismus
Entstehung von Rassismus?
Kommentare sind geschlossen, Trackbacks und Pingbacks offen.