Meine Güte, der Bub war zehn Jahre alt, als wir einander erstmals begegneten. Und er öffnete mir dankenswerterweise sein Herz so sehr, dass er als Sohn von Gabriele Kuhn sehr schnell jene Bedeutung in meinem Leben hatte, als wäre er mein eigener.
Damals fragte er mich die üblichen Dinge wie „Warum geht ein Schiff nicht unter?“ oder „Wie entsteht ein Regenbogen?“, und ich bastelte mit letzter Kraft allerlei Halbwissen zusammen, um a) seine Neugier einigermaßen zu befriedigen und b) mir nicht anmerken zu lassen, dass ich bei näherer Betrachtung der völlig falsche Mann bin, um Naturgesetze zu erläutern.
Einerlei, weil der Bub ohnehin sehr früh seine Leidenschaft für die Wissenschaft erkannte und mir bereits als pubertierender Klugscheißer tausend physikalische, chemische und mathematische Gesetze um die Ohren schmiss, obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte. Was jedoch immer da war und im Laufe der Jahre immer größer wurde: Meine Bewunderung für seinen Forschungsdrang, sein Wissen und seine grenzenlose Begeisterung. Die Hingabe, mit der er beispielsweise jahrelang bei Chemieolympiaden teilnahm, hat mich so begeistert, dass ich sehr gerne in lautstarkes Schwärmen verfallen bin in Anbetracht des konsequenten Wegs, den Kuhn junior gehen wollte. Ich durfte das, weil ich ja nicht der Vater bin und daher über jeden Verdacht erhaben, ihn mit einem lässigen Zwinkern als mein genetisches Meisterwerk offenbaren zu wollen.
Tja, und jetzt? Gestern trat der Bub am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu seiner Defensio an, und die wollte ich natürlich unbedingt hören. Sein Thema: „Cooling and manipulating the ro-translational motion of dielectric particles in high vacuum“. Sehr interessant, wie ich finde, weil dazu ja (auf Facebook zumindest) wirklich jeder eine ganz eigene Meinung hat.
Und natürlich habe ich dem Buben in den letzten Wochen immer wieder angeboten, mit ihm den Stoff durchzugehen, wenngleich meine Detailkenntnis zu microcavity und high-mass interferometry schon ein bisserl eingerostet ist. Aber der Junior hat dankend abgelehnt, er wollte es ganz alleine schaffen … großartig, dieser Wille.
Und so geschah es auch. Nach der einstündigen Defensio, von der ich de facto nicht einen einzigen Gedanken auch nur im Ansatz verstanden oder gar begriffen habe, gleichzeitig aber völlig gefesselt war von den Ausführungen, deren wissenschaftliche Strahlkraft in jeder Minute faszinierend blieb, einigten sich die Professoren darauf, ihm den Doktortitel zu verleihen – mit Auszeichnung.
Und in jenem Moment, als sie das coram publico aussprachen, packte mich die ganze Emotion so vieler Jahre des gemeinsamen Wachsens und Werdens, dass ich feuchte Augen bekam. Dann blickte ich neben mich und sah gnä Kuhn, wie ihr tausend Tränen übers Gesicht liefen. Ich umarmte sie und sagte ihr: „Ja, Quantenphysiker-Mami, kannst echt stolz sein.“
Es war einer der bewegendsten Augenblicke meines Lebens. Zumal der Herr Doktor sogar jene Smiley-Socken trug, die ich ihm zu Weihnachten schenkte, mit den Worten: „Traust Dich nie, die bei der Defensio anzuziehen.“ Aber er hatte den Mut. Wie so oft. Lieber Stefan, Respekt und Anerkennung, ich verneige mich vor Dir und Deiner grandiosen Leistung.
Micheal Hufnagl ist Autor und Kolumnist in Österreich.
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