Zeit meines Lebens war ich von der Politik so weit entfernt wie die Sonne vom Mond. Rechts, Links, Liberal, das waren für mich weltfremde Begriffe.
Startbahn West? Habe ich im Fernsehen konsumiert. Anti-Atom? Im Fernsehen. Und die tollen Pins gesammelt. So richtig interessiert hat es mich nicht. Gut, damals war ich vielleicht zu jung – oder zu unreif – für diese Themen. Und später lief es ja ganz gut in unserem Land. Nichts, was mich – rein politisch – aus dem Sessel getrieben hätte.
Meine Freunde kamen immer schon aus allen politischen Lagern. Mir war es egal, was jemand wählte. Hauptsache er war ein netter Mensch. Im Nachhinein waren die meisten dieser Leute wohl eher dem linken Spektrum zuzuordnen. Das mag daran liegen, dass das (zumindest für mich und in meinem Umfeld) einfach die netteren und unkomplizierteren Menschen waren. War ich alleine in einem Lokal, dann wurde ich von solchen Leuten mit an den Tisch eingeladen, trank ein Bierchen mit, und danach ging es mit den neuen Freunden in irgendeinen legalen oder illegalen Proberaum, wo ein bisschen laute und chaotische Musik gemacht oder gehört wurde und eine Ratte Namens „Kotze“ auf irgendeiner Schulter saß.
Seit einiger Zeit dreht die Politik weitaus engere Kreise um mich (wie vermutlich auch um viele andere). Und so begab es sich, dass ich zum ersten mal in meinem doch schon recht langen Leben sogar nicht nur an einer, sondern an zwei Demos innerhalb weniger Stunden teilgenommen habe – einer genehmigten und einer ungenehmigten.
Ganz ehrlich? Die genehmigte Demo – die zweifellos richtig und wichtig war – lief genau so ab, wie auch die Menschen hier im Landkreis sind: Harmonisch, nett, beinahe schon knuffig. Ungefähr so wie eine Oma, bei der Du keine Luft mehr bekommst, weil sie Dich mit ihrer überbordend liebevollen Umarmung beinahe erdrückt.
Ja, ich mag das. Ich mag diese Oma-Umarmungen und das Magendrücken nach all den süßen Leckereien, mit denen man vollgestopft wurde. Ich mag die netten Menschen hier, und sie sind der Grund, warum ich meinen Heimatort so liebe!
Die Veranstaltung aber – diese schokoladensüße, knuffige Oma-Veranstaltung, schrammte nach meinem Empfinden am eigentlichen Ziel vorbei. Ja, es gab einen konkreten Anlass, sich zu dieser Demo zu treffen. Aber die Demo hatte – offiziell – gaaaaar nichts mit diesem konkreten Anlass zu tun. Wir wollten ja nur ein Zeichen in die Welt senden, dass wir lauter nette Leute sind. Dass fast gleichzeitig diese andere, anlassgebende Veranstaltung stattfand, das war irgendwie ein großer Zufall.
Sorry, aber die Leute, um die es geht, kannst Du nun mal nicht mit Nettigkeit erdrücken. An denen perlt das ab wie Wasser an der Teflonbeschichtung.
Aber da war ja noch die andere Veranstaltung: Natürlich wollte ich sehen, wo sich denn die Leute aufhielten, die so ganz zufällig den Anlass für die erste Demo geliefert hatten. Und siehe da, als ich dem Ort des Unsäglichen näher kam, hörte ich erst eine ganze Menge Trillerpfeifen, dann Musik und Unmutsbekundungen, und dann sah ich eine nicht ganz so kleine Ansammlung von Menschen. Viele Junge, aber auch überraschend viele Ältere – sogar einige, die gar meine Eltern hätten sein können (und ich bin nun wirklich nicht mehr der Jüngste).
Die anwesenden Polizeibeamten wirkten anfänglich arg angespannt, was verständlich ist, da man nun mal vorher nie weiß, wie sich eine solche Veranstaltung entwickeln wird. Später wich die Nervosität und es entwickelten sich sogar Gespräche zwischen den gefährlichen, gewaltbereiten linken Spinnern und der repressiven Staatsmacht. Wobei ich in Wirklichkeit weder das eine noch das andere gesehen habe. Ich sah Menschen, die ihrem Unmut Luft machten und Beamte, die ihren Ermessensspielraum voll ausschöpften und diese Unmutsäußerungen duldeten.
Im Gegensatz zu der anderen Demo war diese ein bisschen rauh, laut, „dirty“, aber ich war sehr überrascht, wie harmonisch es auch hier zuging – nur eben auf eine andere Weise.
Die Meinungsgrenzen waren hier klar abgesteckt, und die Anlassgeber für diese Spontanzusammenkunft wurden in klaren Worten darüber informiert, was man von ihnen hielt. Ja, teilweise wurde dabei auch der Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Ich kann nicht beurteilen, ob das auf Demos zum „guten Ton“ gehört, empfand es aber dem Anlass entsprechend als angemessen. Und manche der so angesprochenen haben ja auch lächelnd zurück gewunken, dürften sich in ihrer Ehre also nicht allzu sehr gekränkt gefühlt haben.
Mein persönliches Fazit (wobei es jeder für sich so halten möchte, wie es ihm besser gefällt; es ist lediglich MEIN Fazit):
Der Zeitpunkt, Rechtsradikale und deren Anhänger zu Tode zu kuscheln, ist längst verpasst. Allen Menschen, die mit diesen Demagogen sympathisieren, pauschal mit Hass und Verachtung zu begegnen, mag sicher auch nicht das probate Mittel sein. Aber Leuten, die bewusst Veranstaltungen dieser Partei besuchen, zu verstehen zu geben, was man davon hält, das ist das Mindeste, was wir tun können – und meiner Meinung nach auch sollten!
Ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Und ich habe bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass mein Mittelfinger tatsächlich länger ist als die anderen Finger meiner Hand.
Michael Wollny ist einer der engagiertesten Leute in Deutschland und macht aus seinem Supermarkt in Friedberg, Bayern, auch schon mal einen Konzertsaal, wie hier vor zwei Jahren.
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