Heute sass ich mit einem Freund am Badesee. Auf einmal fuhr ein Krankenwagen vor. Wir fragten uns, was der wohl wollte. Er fuhr direkt ans Wasser. Der Fahrer stieg aus, und ging mit seinen Klamotten ins Wasser. Wir fragten uns was der da macht. Ich sagte zu meinem Freund, dass da vielleicht was gesucht wird.
Plötzlich liefen mehrere Badegäste vom Strand ins Wasser und tauchten immer wieder ab. Ich stand auf und sagte, ich glaube da ist jemand im Wasser, wollen wir mal…
Ich lief ins Wasser und ruderte so schnell ich konnte zu den anderen. Immer wieder wurde gerufen „weiter rechts“ und „weiter links“ – aber alle tauchten unkoordiniert durcheinander nach unten. Alles war voller Algen. Das Wasser war sehr trüb, aufgewirbelter Sand. Immer nur einen kleinen Abschnitt konnte man absuchen, auch weil es so tief war.
Leute vom Strand warfen uns ihre Taucherbrillen zu. Eine fragte, ob noch jemand eine Taucherbrille braucht. Ich schwamm zu ihr und nahm sie entgegen. Selbst mit Taucherbrille sah man immer nur einen knappen Meter weit. Ich riss Algen hin und her, fürchtete mich gleichzeitig davor, plötzlich eine Gliedmaße zu sehen und hoffte, endlich etwas zu finden. Ich sah etwas und dachte kurz, ich hätte ihn. Aber es war ein Plastikbecher, der sich in den Algen verfangen hatte. Als ich auftauchte wurde gerufen „Alle raus“! Aber ich wollte nicht. Ich tauchte wieder runter.
Schließlich kam ein Boot, und ein Zweites sie fuhren herum um von oben zu suchen. Ein Seil wurde ins Wasser gezogen, damit alle Leute in dieselbe Richtung suchen. Ich tauchte jetzt so ab, dass meine Füße an der Oberfläche blieben, damit die Boote nicht über mich drüber fahren würden.
Dann endlich ruft jemand auf dem Boot „Er lebt!“ Ich rufe den anderen Tauchenden neben mir zu „Die haben ihn.“ Er wird auf das Boot gezogen, das Boot fährt zum Strand, fährt auf Sand auf, der Junge wird an Land gezogen, die Helfer stolpern, der Junge fällt wieder ins Wasser, sie heben ihn wieder auf, ziehen ihn bis ins Trockene.
Sofort beginnt einer der Rettungshelfer, ihn zu reanimieren. Andere Helfer rufen nach Decken. Die Helfer bauen eine Deckenwand um den Jungen herum auf, um Gaffer fern zu halten. Ständig wirft sich jemand im Rhythmus auf die Brust des Jungen. Endlich kommt eine Trage. Die Helfer stolpern wieder über den Sand, dann sind sie endlich bei ihm. Sie hieven ihn auf die Trage, bringen ihn vor den Krankenwagen, der Sanitäter hält weiter seinen Rhythmus aufrecht. Selbst als der Wagen in den Krankenwagen gehoben wird, pumpt er weiter von außen das Herz des Jungen.
Immer wieder wird gerufen „hier gibt es doch nichts zu sehen, gehen Sie einfach.“ Die Leute gehen bereitwillig weg. Mein Eindruck der Umstehenden Leute ist, dass sie alle nicht verstehen, dass sie nichts tun können. Gut einige zücken auch ihre Handys, aber das sind wirklich wenige. Die meisten wollen einfach nur, dass der Junge wieder zu sich kommt.
Mein Freund ich gehen wieder zu unseren Badetüchern. Da erst stellen wir fest, dass mittlerweile an die 15 Einsatzwägen vor Ort sind. Ein Absperrband, Absperrhüte, die Polizei riegelt jetzt ab, niemand ist mehr an diesem Bereich des Strands, wo der Junge unter Wasser war.
Wir fragen uns was mit ihm ist, ob er wieder zu sich gekommen ist.
Und uns kommen fast die Tränen darüber, wie gut diese Helfer alle waren. Dass so viele geholfen haben. Ein Riesenteam von Einsatzkräften hat alles dafür getan, dass der Junge gerettet wird.
Als wir uns wieder auf unsere Fahrräder schwingen wollten, waren fast alle Einsatzwägen und Absperrbänder wieder weg. Die ersten Handtücher waren bereits wieder ausgebreitet. Ein Volleyball flog durch die Luft. Ein älterer Mann vor uns, der wie angewurzelt da steht, fragt leise einen vorbeigehenden Jugendlichen etwas, der ihm nur genervt zuraunt „keine Ahnung!“
Ich sage zu meinem Freund, dass ich nochmal nachfragen will. Ich merke, dass mir die Formulierung dafür schwer fällt. Wie komme ich nicht so rüber, als wäre ich nur sensationsgeil? Will ich Info? Nein. “Wie ist es gelaufen?” – saublöd. “Geht es ihm gut?” – natürlich nicht. “Hat er es geschafft?” – hm.. Muss ich dazu sagen, dass ich einer der Tauchenden war? Wen frage ich? Ein vorbeifahrender Feuerwehrmann, dem ich die erste Frage herausstottere zuckt mit den Achseln und fährt weiter.
Eine Gruppe Mädchen, die wohl den Krankenwagen gerufen haben, sagen mir, dass niemand etwas weiß, die dürfen wohl nichts sagen wegen Datenschutz. Datenschutz? Hätte ich mir vor dem Tauchen überlegen sollen, ob ich die Privatsphäre des jungen Mannes verletze, bevor ich ihn suche? Oder wollen die nur nichts sagen, weil er gestorben ist, und Datenschutz ist leichter als Tod?
Beim nach Hause fahren sind wir beide etwas niedergeschlagen. Was ist nur mit ihm?
Ich google einmal nach ihm. Aber es gibt keine News. Ich gehe auf Facebook und finde zwei Verlinkungen zu Zeitungsartikeln. Die Reanimation war erfolgreich, er wird behandelt, aber ist noch im kritischen Zustand – er war 15 Minuten unter Wasser. 15 Minuten? Geht das überhaupt? Ab wann würde denn da das Hirn Schäden kriegen? Wir merken, dass wir uns das nicht beantworten können. Wenigstens wissen wir bescheid, dass er noch eine Chance zu kämpfen hat.
Ich scrolle aus versehen am zweiten Link vorbei und lese den ersten Facebookkommentar, der sich, ohne dagewesen zu sein, darüber aufregt, dass diese Gaffer ja alles behindert haben und Mitschuld haben. Böser smiley.
Ich selber stand auf der anderen Seite der Decken. Mein Eindruck als „Gaffer“ war, dass es ein ganz beschissenes Gefühl ist, nicht helfen zu können. Dass man sich ständig sagen muss, dass da Profis am Werk sind. Dass man nichts machen kann. Und dass ich nach dem Versuch, diesem Jungen Mann das Leben zu retten verdammt nochmal eine emotionale Bindung dazu habe, ob er es schafft.
Ein einziger Kommentar. Und schon merke ich, was mit Facebook-Kommentaren so falsch ist. Urteile. Aus der Ferne. Ohne etwas verstanden zu haben oder differenzieren zu können. Es ist ein Mob.
Und ich merke noch etwas. Dieser ganze Vorgang, das war wie ein kleiner Einblick in diese meist anonymen Menschen um mich herum. Manche sind großartig. Manche wissen was zu tun ist. Manche wollen helfen, können aber nicht richtig erkennen, wie. Manche trauen es sich nicht mehr zu. Manche halten andere für störend, wie sie ihre Hilflosigkeit umsetzen. Manche stolpern beim Helfen.
Und einige wenige. Wirklich wenige. Bilden sich sofort ein Urteil. Oder hoffen auf einen Youtubehit. Oder denken an sich. Die gibt es unter den Profis, unter denen, die sich nicht zutrauen zu helfen, selbst unter denen die mitgetaucht sind. Aber es sind verdammt nochmal wenige.
Aber wenn man sich anschaut, was hinterher zu lesen ist. Dann entsteht das Bild, dass Menschen dumm sind und alle nur an sich denken. Nein. Das tun sie nicht. Die, die nicht an sich denken, gehen danach ohne ein Wort weiter. Schreiben nicht auf Facebook. Sie lesen den Artikel, um herauszufinden, ob die Hilfe ein Leben gerettet haben oder nicht. Und dann schalten sie Facebook wieder aus. Oder wünschen der Familie alles Gute.
Ich muss aber zugeben, die Kommentare konnte ich zum ersten Mal einfach nicht weiterlesen. Das ist zu viel.
Ich wünsche allen noch einen schönen Abend im Kreise ihrer Lieben. Seid nett zueinander.
Und der Familie des Jungen, und seinen Freunden, sehr viel Kraft.
Jonas Schütte ist Schauspieler am “WUK Theater Quartier am Holzplatz” in Halle und am 2. August in “Romeo vs Julia” und am 3. August in “SOAP – Siebte Ostdeutsche All Patrouille” zu sehen.
Siehe auch:
Silbersee bei Hannover
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