In den Medien taucht das Thema “Kind und Hund” eigentlich immer in zwei Varianten auf: Ratschläge für das Zusammenleben von Kindern und Hunden in einem Haushalt oder der Berichterstattung über einen gravierenden Beißvorfall, wie unlängst in der SZ. In Anknüpfung an meinen Kommentar dazu, möchte ich heute ein völlig zu unrecht weniger beachtetes Thema aufgreifen.
Denn auch wenn man selbst keine eigenen Kinder hat, ist das Thema “mein Hund und Kinder” für jeden Hundehalter relevant. Als Hundehalter bewegt man sich mit seinem Hund in der Öffentlichkeit, d.h. der Weg zur Hundewiese führt an einem Spielplatz vorbei, im Park spielen Kinder auf der Wiese, im Restaurant sitzen sie am Tisch nebenan und im Einkaufscenter fragen sie, ob sie den Hund einmal streicheln dürfen. Als Halter hat man Verantwortung für die Sicherheit der Kinder, aber auch für das Wohlergehen des eigenen Hundes. Gerade auf letzteren Aspekt möchte ich heute ein besonderes Augenmerk legen, da er sehr oft die Bedingung für ersteren ist.
Eine Alltagssituation kurz vorgestellt
Stellen Sie sich einmal folgendes vor: an einem schönen Sommertag flaniert eine Frau mit ihrem Hund durch den Park. An einer Bank, am Rande einer Wiese, machen sie Halt. Die Frau setzt sich, ihr Hund liegt angeleint entspannt auf der Seite und döst vor sich hin. Ein paar Kinder kommen auf die Wiese und spielen dort in einiger Distanz Fangen. Der Hund liegt nun nicht mehr auf der Seite, sondern er hat den Oberkörper aufgerichtet, Kopf erhoben und beobachtet das Geschehen. Irgendwie wirkt er angespannt.
Unterdessen haben die Kinder die Frau und ihren Hund bemerkt, bleiben still stehen und schauen herüber. Der Hund leckt sich über die Schnauze. Die Kinder kommen nun direkt auf den Hund zu. Einen knappen Meter vor ihm halten sie an und fragen die Besitzerin: “Beißt der?” Mittlerweile sitzt der Hund und hat den Kopf zur Seite gedreht. Als eines der Kinder eine plötzliche Bewegung macht, läuft der Hund soweit es ihm die kurze Leine gestattet, von dem Kind weg. Ein anderes Kind folgt ihm, beugt sich über den Hund und streckt die Hand aus, um den Hund daran schnüffeln zu lassen – das macht man so, hat es mal gehört…
Und ? Haben Sie mit mir gerade den Atem angehalten und sich gefragt, was nun passiert? Knurrt und schnappt der Hund? Lässt er alles über sich ergehen?
Aus der Sicht des Hundes
Sehen wir uns die Situation doch noch einmal genauer an: ab dem Eintreffen der Kinder hat der Hund nach allen Regeln der Kunst angezeigt, dass er nicht mehr völlig entspannt ist bis zu deutlichen Signalen des Unwohlseins. Ein anderer Hund hätte wahrscheinlich verstanden, dass Kopf-weg-Drehen, sich aufsetzen und weggehen übersetzt bedeuten:”Kein Kontakt erwünscht. Lasst mich in Ruhe!”.
Was kann ich für meinen Hund tun?
Kinder haben keine Chance, diese feinen Veränderungen richtig zu deuten, und so liefen alle Kommunikationsversuche des Hundes zwangsläufig ins Leere. Dies ändert sich erst, wenn der Hund in seiner Sprache deutlicher wird, z.B. knurrt und die Zähne fletscht oder sogar ein paar Schritte nach vorne macht und in die Luft schnappt.
Hier ist der Hundehalter in der Verantwortung. Durch genaue Beobachtung kann man lernen, sensibel für die Reaktionen seines Hundes zu werden und Angst und Stress als solche zu erkennen. Dadurch ist man in der Lage, Situationen, die gefährlich werden könnten, zu erkennen und frühzeitig einzugreifen. Konkret bedeutet dies, den Hund aus einer für ihn unangenehmen Situation herauszuholen.
Der sicherste Weg ist, dem Hund zu helfen, bevor er sich gezwungen sieht, sich selbst zu helfen. Denn dazu würde er sich Methoden bedienen, die für uns inakzeptabel sind.
Einen kurzen Satz möchte ich hier noch zum “den Hund an der Hand schnuppern lassen” verlieren: grundsätzlich ist es natürlich eine gute Idee, bevor man selbst den Hund anfasst und streichelt, zunächst dem Hund die Gelegenheit zum Schnuppern zu geben. Allerdings ist dies bei einem Tier, das sich sowieso schon in die Enge getrieben fühlt noch eine weitere Bewegung auf sich zu, was dann einen Angriff auslösen kann. Besser ist es grundsätzlich, in genügend großem Abstand in die Hocke zu gehen und darauf zu warten, bis der Hund sich annähert und ihn dann in aller Ruhe schnuppern zu lassen.
Ob nun objektiv aus unserer menschlichen Perspektive Gefahr für den Hund besteht, ist nicht maßgeblich, sondern für das Verhalten des Hundes ist einzig wichtig, wie er in diesem Moment eine bestimmte Situation bewertet.
Was wir nicht sehen können
Die Bewertung des Hundes wiederum unterliegt auch Einflüssen, die nicht direkt mit dieser spezifischen Situation zu tun haben, aber dennoch zur Folge haben können, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es zu einem Biss kommt. Auf die wichtigsten möchte ich im Folgenden kurz eingehen.
● Erregungslage des Hundes: Befindet sich der Hund beispielsweise schon in einer erhöhten Erregungslage, weil er grundsätzlich vielleicht ein Problem mit einer hohen Reizdichte hat, wie man es sich gut an einem Sommertag im Park vorstellen kann: viele Menschen, manche mit Fahrradrädern, andere mit Nordic Walking Stöcken oder Inline Skates, viele Kinder, viele Hunde, von denen vielleicht nicht alle freundlich zu unserem Hund waren, können dazu beitragen, dass er sich schon vor den Kindern auf der Wiese gestresst gefühlt hat.
● Spezifische Erfahrung: Desweiteren steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Biss, wenn der Hund bereits früher in einer vergleichbaren Situation unangenehme Erfahrungen gemacht hat, er sich in die Enge getrieben fühlt und unbedingt das vermeiden möchte, wovon er glaubt, dass es jetzt gleich passiert.
● Gelerntes Verhalten: Je öfter ein Hund die Erfahrung machen muss, dass kleine Beschwichtungsgesten nicht die beabsichtigte Verhaltensänderung bei seinem Gegenüber hervorrufen – hier: Rückzug der Kinder, aber aggressives Verhalten zum Ziel führt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund ebendies als Strategie lernt und darum schneller zeigt.
● Geringe Toleranzschwelle aufgrund von Schmerzen: Ein letzter Punkt, der oft unterschätzt wird, sind Schmerzen. Dabei müssen es gar nicht unbedingt starke Schmerzen seien, die dem Halter sofort auffallen. Auch geringere Schmerzen können die Toleranzschwelle enorm herabsetzen. Viele kennen das sicherlich auch aus dem eigenen Erleben: man denke in diesem Zusammenhang nur an Kopfschmerzen.
Notfallmanagement
Zurück in den Park. Wenn ein Halter nun einige der oben beschriebenen Streßzeichen bei seinem Hund bemerkt, was bedeutet es denn konkret, den Hund aus der Situation herauszuholen?
Das Mittel der Wahl ist die Distanz zu dem angstauslösenden Reiz zu vergrößern.
Dies kann hier bedeuten, z.B. sich selbst als physische Barriere zwischen Hund und Kinder zu stellen, und ihnen zu erklären, dass der Hund sich nicht anfassen lassen möchte. Oder mit dem Hund einfach wegzugehen und sich ein ruhigeres Plätzchen zu suchen, wo der Hund wieder zur Ruhe kommen kann.
Natürlich ist die Distanzvergößerung keine Lösung des Problems. Es ist eine Art Notfallmanagement, wenn der Hund sich in einer Situation befindet, die ihn überfordert.
Langfristig sollte man durch ein systematisch aufgebautes Training an der Angst des Hundes vor Kindern arbeiten.
Neben der in meinen Augen ethischen Verpflichtung, die wir für das Wohlergehen unserer Hunde haben, ist es auch der Sicherheitsaspekt, der dieses Vorgehen empfiehlt. Denn auch wenn ein Hund schon hundertmal eine ähnliche Situation still und stumm durch litten hat, kann man nie sicher sein, dass nicht doch eines Tages einmal der Druck zu groß wird und Gegenwehr einsetzt.
Die Autorin ist Verhaltensberaterin für Hunde - und Mutter von drei Kindern.
Siehe auch: Beissvorfall in München
Ein richtiger und wichtiger Artikel, danke dafür!