Der größte Clown, die beliebteste Persönlichkeit der damaligen Zeit, forderte Hitler, den Mann heraus, der in der neuen Geschichte mehr Böses und mehr menschliches Leid angestiftet hat, als irgendein anderer.
Charlie Chaplin versuchte als Pantomime lange seinen “Tramp” in seinen Stummfilmen nach der Einführung des Tonfilms zu verteidigen. In einem Interview sagte er zu der Modern Times 1967, dass die Stimme etwas verräterisches, künstliches sei, jedermann auf ein gewisses Mass an Zungenfertigkeit und Unwirkliches reduzieren würde. “Pantomime ist für mich ein Ausdruck von Poesie, komischer Poesie.”
Sein “Tramp” hätte an Eloquenz verloren hätte er ihm eine Stimme gegeben und so musste der Tramp verschwinden. Bis ihm 1937 der in Großbritannien lebende Filmproduzent und Regisseur Alexander Korda vorschlug einen Hitler-Film zu machen.
Eine Verwechslungskomödie mit dem “Tramp” und Hitler der den gleichen Schnurrbart wie der Tramp hatte. Beide wurden von Charlie Chaplin in seinem Film dargestellt.
In seiner Biographie schrieb Charlie Chaplin:
“Natürlich! Als Hitler konnte ich die Massen großtuerisch bearbeiten und so viel sprechen, wie ich wollte. Als Tramp konnte ich dann mehr oder minder still bleiben. In einem Hitler-Film konnte ich Burleske und Pantomime miteinander verbinden.“
1938 lernte Chaplin den Schriftsteller Dan James kennen, erzählte ihm von seiner Filmidee und begann mit ihm das Drehbuch zu schreiben. Schnell sorgten die Gerüchte über das neue Projekt von Charlie Chaplin weltweit für Aufsehen.
Der Chaplin Biograph David Robinson berichtet über eine Sensation:
„Ein einzigartiges Phänomen, ein herausragendes Ereignis in der Geschichte der Menschheit.
Der größte Clown, die beliebteste Persönlichkeit der damaligen Zeit forderte den Mann heraus, der in der neuen Geschichte mehr Böses und mehr menschliches Leid angestiftet hat als irgendein anderer.“
Die Idee des Films: Die Verwechslung des namenlosen jüdischen Friseurs mit dem Diktator. Der Film beginnt mit der Heimkehr deutscher, jüdischer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. “Tramp” ist der einzige auf den zuhause niemand wartet. Die rivalisierenden Diktatoren Hynkel und Napaloni stehen ebenfalls bald fest.
In Deutschland wurde das neue Filmprojekt von Chaplin ebenfalls wahrgenommen. Die Filme von Chaplin waren in Deutschland ab 1934 verboten. Die deutsche Propaganda-Maschinerie verbreitete das Gerücht über Charlie Chaplin, er sei der Jude Karl Tonstein. Charlie Chaplin bemerkte später hierzu, dass “eine jüdische Herkunft eine große Ehre bedeuten würde, die ihm jedoch nie zuteil geworden wäre”.
Die deutsche Filmzeitschrift der “Film-Kurier” befand sich zu dieser Zeit bereits in der Hand der Nazis. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste der Eigentümer und Verleger Alfred Weiner wegen seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen und emigrierte in die Vereinigten Staaten.
Der deutsche “Film-Kurier” forderte gegen den Film von Chaplin einzuschreiten: „Die jüdische Minderheit darf also in den USA unbehelligt den Führer einer fremden großen Nation verhöhnen. In Frankreich ist vor einigen Tagen eine Anordnung herausgekommen, die die Verächtlichmachung fremder Staatsoberhäupter verbietet. Wann wird Amerika diese selbstverständliche Anstandspflicht zwischen Völkern aufbringen, derartige Unverschämtheiten, wie sie der Jude Charlie Chaplin im Schilde führt, zu verhindern?“
Charlie Chaplin löste mit diesem Filmprojekt auch in den USA nicht gerade Begeisterung aus. Amerika wollte sich noch zu dieser Zeit nicht in die europäische Politik einmischen. Selbst United Artists, die Charlie Chaplin 1919 mit den Film-Legenden Douglas Fairbanks Sr., Mary Pickford und David Wark Griffith gegründet hatte, befürchtete wegen des Hays Code, dass der Film weder in den USA noch in Großbritannien, der Heimat von Charlie Chaplin, aufgeführt werden könnte.
Der Hays Code waren Richtlinien für die Herstellung von Filmen in den USA, die ab 1934 für die Filmindustrie Pflicht wurden. Obszönität, Vulgarität – wenn sie beleidigend oder an Unsittlichkeit grenzt. Die Darstellung mit den Methoden von Kriminalität – wenn sie zur Nachahmung anregt und nicht zur Aufklärung dient. Krankhafte verbrecherische Szenen, deren einziger Wert die Darstellung der Morbidität oder der kriminellen Straftat ist. Die unnötige ausführlichere Herausstellung oder Verlängerung von Szenen mit Leid, Brutalität, Gemeinheit, Gewalt oder Kriminalität. Blasphemy. Szenen in Filmen, die aufgrund ihrer subtilen Inhalte tendenziell bewirken, grundlegende moralische oder notwendige soziale Verhaltens-Normen zu verderben. Der Hays Code wurde 1967 in den USA wieder abgeschafft.
Charlie Chaplin schreibt zu den Widerständen in seiner Biografie:
„Doch ich war entschlossen weiterzumachen, denn über Hitler sollte gelacht werden.
Hätte ich etwas von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte Der große Diktator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können.
Aber ich wollte unbedingt ihren mystischen Unsinn über eine reinblütige Rasse zum Gespött werden lassen.“
Im Dezember 1938 steht dann die ganze Geschichte mit dem Schluss fest: Hannas Vater der mit dem Friseur (Tramp) aus dem Konzentrationslager flieht und der Tramp der als falscher Hynkel die berühmte Schlussrede am Palastplatz von Osterichs Hauptstadt Vanilla hält. Der ursprünglich gedachte Titel The Dictator war bereits an Paramount vergeben. Eingetragen wurde dann der Titel The Great Dictator.
Am 1. September 1939, an dem Tag an dem die Deutschen in Polen einmarschieren, ist das umfangreiche 300 Seiten lange Skript des Großen Diktator fertig.
Am 9. September 1939 beginnen die Dreharbeiten. Sechs Tage nach der Kriegserklärung von Großbritannien an Deutschland. Charlie Chaplin besitzt das letzte Stummfilm-Studio in Hollywood, das für die Tonaufnahmen schalldicht gemacht wird. Charlie Chaplin kann sich nur schwer an die neue Technik und Arbeitsablauf gewöhnen. Ideen werden umgeworfen, überarbeitet oder neue hinzugefügt. Im Dezember 1939 beginnen dann die Hynkel Szenen, für die Charlie Chaplin alle verfügbaren Wochenschauen mit Hilter ansah, um das Auftreten, die Sprechweise, Gestik und Mimik von Hitler genau zu studieren. Die Reden von Hynkel entstehen anschließend aus der Improvisation.
Als im März 1940 die Hauptdreharbeiten abgeschlossen sind, hat sich die politische Weltlage dramatisch verändert. Die Deutschen sind überall in Europa auf dem Vormarsch, in den USA werden die Stimmen für ein Eingreifen lauter und Chaplin nun gedrängt sein Filmprojekt zu beenden. Chaplin beginnt mit der Arbeit am Schnitt und schreibt am Text für die Schlussrede, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedreht war.
Im Juni 1940 als die deutschen Truppen Paris besetzten, dreht Chaplin die Schlussrede und komponiert mit Meredith Willson anschließend die Filmmusik.
Dann am 1. September 1940 ist die erste Kopie des Films fertig. Für die Produktion, 168 Drehtage und 90 Stunden Filmmaterial, investierte Charlie Chaplin zwei Millionen Dollar. Nach vielen Überarbeitungen und Änderungen wird der Film am 3. Oktober 1940 einem handverlesenen Publikum, zu dem James Roosevelt, Aldous Huxley, John Steinbeck und Lewis Milestones gehören vorgeführt.
Inzwischen hat sich das politische Klima in den USA aufgeheizt. Nachdem Charlie Chaplin unzählige Drohbriefe bekommt und mit der Störung bei der Premiere durch Nazi-Sympathisanten gerechnet wird, bekommt Chaplin von dem Chef der Hafenarbeiter-Gewerkschaft Harry Bridges Unterstützung, der erfahrene Männer bereit hält.
Die Premiere Der große Diktator am 15. Oktober 1940 in New York verläuft ohne Zwischenfälle. Trotz der gespaltenen Kritiken wird Der große Diktator der größte Erfolg von Charlie Chaplin. Die Einspielergebnisse werden nur Vom Winde verweht übertroffen, der zur gleichen Zeit in den Kinos anläuft. Während der deutschen Luftangriffe auf England, findet am 16. Dezember 1940 in London die Europa-Premiere statt. Für die Briten ist der Film von Charlie Chaplin die beste Ermutigung.
Über die Pressevorführung einen Tag vor der Premiere schreibt Charlie Chaplin in seiner Autobiographhie:
„Ein besonderes Charakteristikum der Pressevorführung einer Komödie ist es, dass das Lachen immer mit einem Trotzdem auf die Welt kommt. So war es auch bei dieser Vorführung mit dem Lachen – soweit überhaupt gelacht wurde.“
In Deutschland wird Der große Diktator nach Kriegsende 1946 von den Alliierten ausgewählten Filmschaffenden und Intellektuellen in einer Vorführung gezeigt, die zu dem Ergebnis kommen, dass es für eine Aufführung in Deutschland zu früh sei. Der große Diktator läuft erstmals am 26. August 1958 in den westdeutschen Kinos an. Mit mäßigen Erfolg, nachdem sich die Bevölkerung nicht als Mittäter sondern als Opfer sah. In der damaligen DDR wird der Film von Charlie Chaplin erst 1980 im Fernsehen gezeigt.
In seiner Biographie schreibt Charlie Chaplin, der sich nach dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 weiter politisch engagiert:
„Jetzt hatte ich das Gefühl, in eine politische Lawine geraten zu sein. Ich begann, mich nach meinen Motiven zu fragen: Wie weit war es der Schauspieler in mir gewesen, den es danach verlangt hatte, die Reaktion eines lebendigen Publikums zu erleben?
Hätte ich diese Donquichoterie begonnen, wenn ich keinen Anti-Nazi-Film gemacht hätte? War es vielleicht eine Sublimierung all meiner Irritationen und Reaktionen beim Erscheinen des Tonfilms?
Ich glaube, all diese Elemente spielten eine Rolle, doch das stärkste Motiv waren mein Hass und meine Verachtung gegenüber dem Nazi-System.“
In der New York Times nimmt Charlie Chaplin kurz nach der Premiere zur Kritik an der Schlussrede Stellung:
„Es ist die Rede, die der Friseur gehalten hätte, die er hätte halten müssen. (…)
Es wäre viel einfacher gewesen,den Friseur und Hannah in einen fernen Horizont verschwinden zu lassen, unterwegs zum gelobten Land, vor der untergehenden Sonne.
Aber es gibt kein gelobtes Land für die Unterdrückten dieser Erde. Es gibt keinen Ort jenseits des Horizonts, wo sie eine Zuflucht finden könnten.“
Astrid Ebenhoch ist Journalistin, Gründerin und Herausgeberin von Hounds & People
Schlussrede Der Große Diktator:
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